“Kinder haben viel mehr draußen gespielt”

Klaus und Markus gemeinsam bei einer Breitensportaktion

In der frühlingshaften Mainkind-Ausgabe beschäftigen wir uns mit dem Topthema Sport. Unser Auto Klaus Kühlewind hat dazu Klaus Deigert getroffen. Der 74-Jährige ist seit 1962 Mitglied der Tischtennisabteilung der SG Sossenheim. Über viele Jahre hinweg war er in verschiedenen Funktionen für den Verein aktiv, seit mehr als 50 Jahren vor allem für den Nachwuchs unter anderem als Jugendwart, Anfängertrainer oder Betreuer von Schülerteams und in der Mädchenliga.

Klaus deigert, seit 1965 in der Jugendarbeit aktiv

Wie er das heutige Amateur-Sportgeschehen und die Fitness der Jugend einschätzt, lest ihr im Interview.

Klaus Deigert/ SKIB

MainKind: Herr Deigert, Sport mit jungen Menschen ist Ihr Steckenpferd. Wie lange sind Sie denn schon als Trainer aktiv?

Klaus Deigert: Ich bin seit 1965 bei der SG Sossenheim engagiert und war zudem in überörtlichen Ebenen tätig beispielsweise als Kreis- oder Bezirksjugendwart. In der ganzen Zeit gab es nur sehr wenige Unterbrechungen.

MK: Wie hat sich für Sie das Training von vor 50 Jahren im Vergleich zu heute entwickelt? Gib es große Unterschiede?

Deigert: Das finde ich schon. Ein ganz großer Unterschied ist, dass die Kinder in früheren Jahren sich viel natürlicher bewegten.

MK: Inwiefern?

Deigert: Sie haben viel mehr draußen gespielt. Da wurde auf der Straße Fußball gespielt, auf der Wiese Nachlauf, im Park Verstecken. Das machen einige heute immer noch, aber es sind doch viel, viel weniger. Das macht sich bemerkbar. In meiner Tätigkeit für Schuldkids in Bewegung  hatte ich beispielsweise einige Kinder, die schafften es kaum, sich von der Bank zu erheben. Die konnten kaum geradeaus laufen. Das war wirklich erschütternd.

MK: Worauf führen Sie das zurück?

Deigert: Na ja, viele Kinder sitzen häufig und lange vorm Computer oder Fernseher, statt draußen zu spielen. Das ist wohl der Hauptgrund.

MK: Für Vereine ist es bestimmt nicht leicht, junge Menschen da zum Sport zu locken. Was hat sich für Sie gewandelt?

Deigert: Das war vor 50 Jahren deutlich einfacher. Die Kinder kamen, weil sie Lust darauf und Spaß daran hatten, sich im Sport auszuprobieren. Heute müssen sie als Verein deutlich mehr bieten, um Kinder überhaupt erstmal ins Training zu locken.

MK: Und wie sieht es mit dem Training aus?

Deigert: Auch da hat sich einiges geändert. Bei uns wurde Tischtennis geübt und gespielt und das hat früher genügt. Wenn ich heute ein Training leite, dann fängt das erst mal mit einer Art Aufwärmspiel an beispielsweise mit Zombie-Ball, was mit Tischtennis nichts zu tun hat. Das machen wir, damit die Kinder sich überhaupt mal bewegen.

MK: Kann ein Verein nur mit Sport allein junge Menschen an sich binden?

Deigert: Ein Verein kann aus meiner Sicht heute kaum mehr etwas erreichen, wenn es kein Beiprogramm gibt. Wir unternehmen sehr viele Ausflüge, aber auch Bildungsprojekte. So war mein Verein beispielsweise ein Integrationsstützpunkt, für den es speziell für Bildungsprojekte eine Förderung gab. Da haben wir beispielsweise die Glauburg oder die Grube Messel besucht. Macht ein Verein das alles nicht, hat er auf lange Sicht ein großes Problem. Im Tischtennis betreiben mehr als die Hälfte der Vereine keine Jugendarbeit mehr. Im Stadtteil Höchst beispielsweise sind alle drei Tischtennisverein verschwunden. Aber auch unser Gesamtverein hat mit Mitgliederschwund zu kämpfen. In den 70er und 80er Jahren hatten wir bis zu 1500 Mitglieder, jetzt sind wir gerade noch halb so groß.

MK: Wie bewerten sie die Rolle der Eltern, die ja letztlich ihre Kinder in einem Sportverein anmelden?

Deigert: An den Eltern liegt sehr viel, doch für viele hat das Vereinswesen leider keinen Stellenwert. Wenn also ein Verein die Kinder nicht in der Schule erreicht, können sie es fast vergessen, Mädchen oder Jungen  für den Vereinssport zu gewinnen. Die einzige Ausnahme ist Fußball, der Kinder von selbst lockt.

MK: Was macht es aus Ihrer Erfahrung mit den Kindern, wenn Sport und Bewegung zu kurz kommen?

Deigert: Ich will es mal umdrehen: Wenn Kinder zu uns kommen, einige Zeit dabeibleiben und regelmäßig kommen, sieht man deutliche Fortschritte. Und eine ganze Reihe von Kinder, die zu uns, aber auch zu anderen Vereinen kommen, sind motorisch ganz schlecht drauf. Das große Problem ist, dass diese Kinder dann quasi am Rand stehen, nicht richtig mitmachen können und schnell wieder mit dem Sport aufhören.

MK: Gibt es ein Rezept, die Kinder dennoch für den Sport zu motivieren?

Deigert: Eine ganz tolle Sache ist die Aktion Schuldkids in Bewegung, denn das ist ein Teil des schulischen Angebots, wird aber von Vereinen unterbreitet. Um es für die Eltern mit einem offiziellen Anstrich zu versehen, hatten wir in Sossenheim ein Antragsformular und es musste auch ein Beitrag bezahlt werden, mit dem wir am Ende alle Kinder zum Eisessen einluden. Dennoch gab es Eltern, die ihr Kind nach dem ersten Besuch, Anmelden und Bezahlen nicht wieder zu uns schickten, ohne auch nur ein Wort darüber zu verlieren.

Siegerehrung bei einer Minimeisterschaft

MK: Hat für Ihren Verein das SKIB-Programm trotzdem etwas gebracht?

Deigert: Ja, einige Kinder haben Spaß am Tischtennisspiel entwickelt und sind in den Verein gekommen. Einige von ihnen mit Erfolg: Sie haben bei den deutschen Jugendmeisterschaften der Schülerinnen den vierten Platz belegt. Ein Mädchen ist sogar in einem Perspektivkader gelandet und hat, zumindest theoretisch die Chance, in ein paar Jahren bei Olympia zu starten. Dieses Mädchen wäre nie und nimmer zum Tischtennis gekommen, wenn sie mit Skib nicht die Erfahrung gemacht hätte.

Louis und Patricia freuen sich über ihre Urkunden, Rahitha begutachtet noch die Preise

MK: Hört sich nach einem Erfolgsrezept an für Kinder und Vereine.

Deigert: Ich sehe die Zukunft der Vereine nur in Zusammenarbeit mit den Schulen. Das Problem ist nur, dass beide Partner wollen müssen. Die Vereine müssen bereit sein, das Angebot zu machen, die Schulen aber auch. Leider gibt es einige Schulen, denen solche Angebote zu viel sind. Doch für Vereine wie Schulen gilt: Es muss Menschen geben, die das tragen und zwar möglichst ohne viele Wechsel.

 

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